Rollhockey-Action in Diessbach vor dem Hintergrund der alten Hallenstadion-Banden. Bild: Lebkuchenhaus Productions / Raphael Krauss
RHC Diessbach
RHC Diessbach
In Diessbach wird das Hallenstadion recycliert

Kreislaufwirtschaft in der Champions League

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Ein Boden aus Kalifornien, die Banden aus Zürich-Oerlikon und die Stühle aus dem Berner Oberland. Wie der Rollhockeyclub Diessbach aus der Not eine Tugend macht, seine meisterliche Infrastruktur aus gebrauchten Elementen zusammenbaut und in der Aktion «Das Grüne Trikot» eine Vorreiterrolle spielt.

Zu behaupten, Diessbach im bernischen Seeland sei das Zentrum der Welt, wäre eine leichte Übertreibung. Als grösste Sehenswürdigkeit der 1000-Seelen-Gemeinde gilt das reformierte Pfarrhaus. Der lokale Fussballklub rennt in der 4. Liga den Träumen hinterher. Trotzdem sprengt Diessbach den Rahmen des sportlichen Mittelmasses. Aus Diessbach stammt Schwingerkönig Christian Stucki – und hier spielt der beste Rollhockeyklub des Landes, der RHC Diessbach, der im vergangenen Juni bei den Männern den dritten Schweizer Meistertitel der Klubgeschichte gewann und sich nun das dritte Mal für die Champions League qualifizieren konnte. Team- und geschlechterübergreifend weisen die Diessbacher elf nationale Meistertitel und 15 Cup-Siege in ihrem Palmarès aus. Und international steht ein weiterer Höhepunkt bevor. Im kommenden Dezember will der Klub erstmals ein Turnier der Champions-League-Gruppenphase organisieren. Daniel Dysli, seit drei Jahren Präsident des Klubs, sieht darin auch eine Chance, der Öffentlichkeit für den grossen Support zu danken. «Es ist für uns ein grosses Anliegen, unseren Mitgliedern und Fans den internationalen Sport vor der eigenen Haustüre zu präsentieren.»


«Diessbach gelingt die Sensation»

«Vom Schulhausplatz in die Champions League» steht auf der Internetseite des Vereins. Die Worte spiegeln eines der spektakulärsten Kapitel in der Schweizer Rollhockey-Geschichte. Im vergangenen Januar hatten die Seeländer als erste Schweizer Vertreter ein Spiel in der Königsklasse gewonnen – 6:4 auswärts beim französischen Spitzenklub US Coutras. «Diessbach gelingt die Sensation» titelte das «Bieler Tagblatt».

Nicht nur sportlich befindet sich der RHC Diessbach auf der Überholspur. Er steht auch für ein Projekt, das in Sachen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft Massstäbe setzt und landesweit eine Vorbildfunktion einnimmt.

Im Rollhockey wird in Diessbach sogar Champions League gespielt.
Auf einer der Banden wird an die Vergangenheit im Hallenstadion erinnert..
Die Banden wurden eigens in Oerlikon abgeholt und danach aufgestellt, wie das Archivbild dokumentiert.
Auch die Stühle sind recycelt, aus dem Berner Oberland.
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Um dies zu verstehen, muss in der Klubchronik zurückgeblättert werden. 2013 gewannen die Diessbacher den ersten Meistertitel. Drei Jahre später wiederholten sie den Coup – notabene als einziger Rollhockeyklub der Region. Es folgte die Premiere in der Champions League mit dem Gastspiel von Benfica Lissabon im Dorf; einem der traditionsreichsten Vereine überhaupt. 

«Hansjürg begann auf dem Pausenplatz»

Weshalb sich der Rollhockey-Sport ausgerechnet in Diessbach etablierten konnte, führt Klubpräsident Dysli vor allem auf einen Mann zurück – Primarlehrer Hansjürg Wegmüller, der im Verein noch immer für die Infrastruktur verantwortlich ist: «Hansjürg begann mit den Schülern auf dem Pausenplatz zu spielen. Daraus entstand eine immer grössere Bewegung – und letztlich mit der Klubgründung 1984 eine attraktive Alternative zum Fussball. Das Miteinander ist bei uns sehr wichtig.»

Dass die Geschichte des Klubs dereinst internationale Dimensionen annehmen würde, ahnte damals noch niemand. Mit dem Aufstieg in die Nationalliga A im Jahr 1999 musste die Infrastruktur aber grundlegend aufgewertet werden. Spiele unter freiem Himmel waren nicht mehr reglementskonform. Die schlauen Diessbacher stellten kurzerhand ein Festzelt über den Platz. Als dieses aber unter der grossen Schneelast im Winter 2001 einbrach, musste eine permanente Lösung her. 

Die Banden mussten abgeholt werden

Die Diessbacher machten aus der Not eine Tugend, appellierten an die öffentliche Solidarität und aktivierten alle verfügbaren Helfer aus dem Klubumfeld. Mit rund 3600 Stunden Freiwilligenarbeit stampften sie die eigene Halle aus dem Boden. Sie gingen unkonventionelle Wege. Als sie erfuhren, dass die ZSC Lions ihre Banden aus dem alten Hallenstadion in Oerlikon nicht mehr brauchten, meldeten sich die Berner Rollhockeyaner. Doch der branchenübergreifende Deal drohte am Preis zu scheitern. Die Zürcher wollten 20‘000 Franken für die Banden. Die Zeit spielte Diessbach indes in die Karten. Als sich niemand sonst für das Recyclinggut interessierte, erhielt der Klub die Banden gratis. Einzige Bedingung: Die Elemente mussten in der Lagerhalle in Frauenfeld abgeholt werden. Für die Diessbacher kein Problem. Ein Sattelschlepper war schnell verfügbar.

Auch den hellblauen Hallenboden, zusammengesetzt aus Kunststoffplatten, konnte der Verein zu günstigen Konditionen erstehen – von den Organisatoren der Rollhockey-WM 2005 im kalifornischen San José. Die Beleuchtung stammt aus einer Textilfabrik in Zürich, die Stühle im Restaurant aus einer Gaststube im Berner Oberland, der Lagerraum mit den roten Wänden vom früheren Provisoriumsbau im Centre Brügg. Die schicke Holztribüne schliesslich finanzierte die Unterstützervereinigung der RHCD-Copains – die Gönner bauten sie sogar von Hand Schraube für Schraube auf.

Als Nächstes sollen die Lampen der Spielfeldbeleuchtung auf die umweltschonende LED-Technik umgestellt und die Werbeflächen an den Hallenwänden aus Kunststoff sukzessive durch Recycling-Material ersetzt werden. Zur konsequenten Nachhaltigkeitsstrategie gehört die Materialbörse der Juniorinnen und Junioren. Präsident Dysli sagt dazu: «Ohne dieses Angebot könnten sich viele Familien den Rollhockeysport nicht leisten.»

Damit setzt der RHC Diessbach einen Trend, der weit über die Grenzen des Sports Wirkung erzielt. Und er liefert ein Beispiel, wie ein Sportklub mit gebrauchten Infrastrukturelementen die eigene Zukunft gestalten und dabei das Klima schonen kann. In der Aktion «Das Grüne Trikot. Verein(t) für das Klima» spielt er deshalb eine Schlüsselrolle. Oder mit anderen Worten: Die Berner Rollhockeyaner sind nicht nur sportlich das Nonplusultra. Sie zeigen, wie man aus der Not eine Tugend macht und mit vergleichsweise einfachen Mitteln zu nachhaltigem Erfolg (oder erfolgreicher Nachhaltigkeit) beiträgt.

Erste Veröffentlichung:
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Letztes Update: 
5.12.2023

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